Was es bringt, mit Senioren über ihr Leben zu sprechen und wie man es am Besten anstellt. Wenn wir (Angehörige oder Betreuer) mit Senioren über ihr Leben sprechen, hat das mehrere interessante Aspekte, für uns und den Erzähler: wir können die persönlichen Erfahrungen von Menschen kennenlernen und sie dadurch besser verstehen, eine Beziehung aufbauen und festigen. Gleichzeitig kann die erzählende Person auf ihr eigenes Leben zurückschauen und sich ihrer Identität bewusster werden.
Was ich einmal war
Gerade in schwierigen Lebensphasen, bei Krankheit, beginnender Demenz oder nach dem Tod eines Angehörigen, kann die Reflexion über das eigene Leben die eigene Identität stärken. Die meisten Menschen haben im Laufe ihres Lebens Dinge getan und geleistet, auf die sie stolz sind, von denen jetzt aber nichts mehr übrig ist, außer sie selbst. Davon zu erzählen gibt die Möglichkeit, über die momentane Situation hinauszuwachsen und Stolz für die eigene Lebensleistung zu empfinden. Durch unser aufmerksames Zuhören können wir unsere Anerkennung zum Ausdruck bringen.
Damit etwas bleibt von mir
Erzählen heißt auch, etwas weitergeben. Durch Erzählungen aus dem eigenen Leben können alte Menschen etwas weitergeben und das positive Gefühl erleben, dass etwas bleibt von ihnen. Zum Beispiel wenn Großeltern ihren Enkeln von ihrem Leben erzählen, von zeitgeschichtlichen Ereignissen oder aus dem Alltag einer vergangenen Zeit. Häufig stößt das auf großes Interesse bei der nächsten Generation. Das Gleiche gilt für Lebenserfahrungen und Erkenntnisse, die Menschen im Laufe eines langen Lebens gewonnen haben und von interessierten Zuhörern als wertvoll erlebt werden.
Eine Biografie ist kein Lebenslauf
Eine Erzählung aus dem Leben eines Menschen ist kein Lebenslauf, wo die Dinge systematisch und geordnet aufgelistet sind. Meistens sind biografische Erzählungen gleichermaßen ein Bericht der Ereignisse und ihre Deutung durch den Erzähler. Je wichtiger die Ereignisse für den Erzähler, desto mehr kann die Deutung in den Vordergrund gelangen. Erzählung bedeutet ja immer auch Verarbeitung. Genau darin liegt der Wert, für den Zuhörer, der daraus viel über den Erzähler erfährt und für den Erzähler selbst, der durch diesen Prozess Erlebtes verarbeiten und abschließen kann. Vermeiden Sie, auf Unstimmigkeiten hinzuweisen, die Ihnen vielleicht aus anderen Quellen bekannt sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen Ereignisse erdichten und selbst für wahr halten.
Wie wir zum Erzählen anregen
Indem wir Senioren veranlassen, über ihre Leben zu sprechen, können wir sie in mehrfacher Hinsicht unterstützen. Häufig bedarf es aber eines Auslösers, um die Erinnerung in Gang zu bringen. Sehr geeignet als Trigger für Erinnerungen aus dem eigenen Leben sind Photoalben. Indem wir gemeinsam das Album durchblättern und nachfragen, was damals geschah und warum, können wir zum Erzählen anregen. Gleiches gilt für Musikstücke (Gerüche, Gerichte etc.), die an bestimmten Lebensphasen erinnern.
Die richtigen Fragen stellen
Wenn wir Senioren zur Reflexion über das eigene Leben anregen wollen, können wir das Gespräch durch Fragen in eine gewünschte Richtung lenken. Mit manchen Fragen können wir die Reflexion über bestimmte Lebensphase (zB Kindheit) anregen.
„Was war eigentlich das wichtigste Ereignis in deiner Kindheit?“
„Wer war für dich in deiner Kindheit der wichtigste Mensch?“
„Woran denkst da am liebsten, wenn du dich an deine Kindheit erinnerst?“
Andere Fragen helfen, das eigene Leben ganzheitlich zu betrachten.
„Wenn du dir vorstellst dein Leben wäre ein Reise, was waren die wichtigsten Stationen?“
„Welchen Ratschlag würdest du dir selbst geben, wenn du noch einmal 20 Jahre alt wärest?“
„Wenn du dich an dein Leben erinnerst, was hast du getan oder erreicht, das dich stolz macht?“
Nicht über das Ziel hinausschießen!
Sensibilität ist immer gefragt, wenn wir mit Menschen über ihre persönliche Geschichte sprechen. Umso mehr bei hochaltrigen oder dementen Personen. Wenn Sie spüren, dass Sie ein Thema berühren, das Ihr Gegenüber nervös oder unrund macht, dann sollten Sie das Gespräch vielleicht behutsam in eine andere Richtung lenken. Denn für Therapiegespräche ist es jetzt zu spät. Traurige Themen erfordern besondere Sensibilität vom Zuhörer, wobei übertriebenes Mitleid häufig nicht angebracht ist – konzentriertes Zuhören reicht. Und selbstverständlich gibt es Menschen, die über ihre Vergangenheit nicht sprechen wollen. Und das ist ihr gutes Recht.